Alexander Wöll (Greifswald)
Polnische Nachwendeliteratur aus weiblicher Perspektive. Inga Iwasiów
Inga Iwasiów thematisiert in ihren Texten der polnischen Nachwendezeit in erster Linie Erfahrungen der Umsiedlung. Ihre konkrete Lebensregion will sie zum distinktiven Kriterium einer „westpommerschen Literatur" machen. 2007 hat sie im Sammelband Narracje po końcu (wielkich) narracji. Kolecje, obiekty, symulakra... (Erzählungen nach dem Ende der (großen) Erzählung. Sammlungen, Objekte, Simulacren...) einen Text mit dem Titel „Inna uległość. Trudne początki Szczecińskiej lokalności" (Andere Unterlegenheit. Die schwierigen Anfänge einer Szczeciner Lokalität) publiziert. Einerseits identifiziert sie sich darin mit Texten von Artur Daniel Liskowacki, andererseits grenzt sie sich von diesen auch stark ab. Iwasiów verortet die Region um Szczeciń vor dem Hintergrund anderer in der Literatur und Literaturwissenschaft vertretener Räume (wie Gdańsk, Olsztyn, Beskid Niski, Praga usw.) vor dem Hintergrund der „kleinen Heimaten" und dem zeitgleich entstandenen Diskurs der Lokalität. Während in der Literatur nach 1989 – v.a. bei Artur Daniel Liskowacki – die Szczeciner Lokalität aus der Perspektive eines gut erkennbaren Subjekts mithilfe einer Entzifferung der Spuren der Vergangenheit, einer Empathie mit den „früheren Subjekten" und einem Rückgriff auf den allgemeinen Diskurs rekonstruiert wird, ist für Iwasiów die Lokalität als unmittelbare Erfahrung des Ortes nur in der Form einer Lücke möglich (was sozusagen auch die Bemühungen der literarischen Rekonstruktion nach 1989 erklärt). Eine Vorgeschichte der heutigen Lokalität gebe es nur in einem „System von Auslassungen und Umgehungen". Um diese These zu belegen, wählt Iwasiów Katarzyna Suchodolska, die aufgrund ihrer westukrainischen Biographie und ihrer Abneigung gegenüber den „Wiedergewonnenen Gebieten" als repräsentativ für die Nachkriegsliteratur dieser Region erachtet werden kann. Die Argumentation konzentriert sich auf zwei Lücken in Suchodolskas Prosa: Antisemitismus und Weiblichkeit. Da dieser Artikel ein Jahr vor dem Erscheinen von Iwasióws Romans Bambino veröffentlicht worden ist, könnte dies als direkter Verweis auf ihren eigenen Roman verstanden werden: „[...] man kann in dieser Sache nicht rückwirkend agieren, man kann jedoch die Lücken aufweisen und mit Narration füllen. Die vergangene Unterlegenheit mit dem Mut der Exploration durchbrechen." Der Roman Bambino soll im Zentrum des Vortrags stehen.