Attila Bombitz (Szeged)
Ungarische Geschichte(n), in Ironie gestellt
Der Begriff ungarische Literatur über die Wende und nach der Wende von 1989 ist mehr als problematisch. Seitdem werden auch bereits verstorbene Autoren, die zuvor aus politischen Gründen nicht zur Geltung kommen konnten, intensiv neu rezipiert wie fast überall in den ehemaligen Ostblock-Ländern. Allerdings hat sich die Erwartung, dass nach dem Regimewechsel aus den Schubladen der Autoren zahlreiche unter Verschluss gehaltene Manuskripte auftauchen würden, dass sich also mit der radikalen politischen Veränderung auch die Literatur sofort und radikal ändern werde, nicht erfüllt. Keine neuen Autoren, keine neuen Themen und Redeweisen schossen aus dem Boden, der politische Bruch trug als solcher keine unmittelbar literarischen Früchte. Ein Grund dafür ist, dass die literarische Wende in Ungarn schon lange vor der politischen Wende stattfand. Nach 1989 kam aber zu diesem literarischen Wandel ein verändertes Verhältnis zur Geschichte: Postmoderne Geschichtsauffassungen, die nun auch in Ungarn populär werden, eröffnen der Gattung des Romans neue Zugänge zur Nationalgeschichte des 20. Jahrhunderts, und unabhängig von den verschiedenen Schriftstellergenerationen. Wichtige ungarische Publikumserfolge (auch im deutschsprachigen Kulturkontext) u.a. von Attila Bartis (Die Ruhe), László Darvasi (Das traurigste Orchester der Welt), Péter Esterházy (Harmonia caelestis), László Garaczi (Wundersame Busfahrt), Iván Sándor (Geliebte Liv) oder Pál Závada (Das Kissen der Jadviga) betrachten die ungarische Geschichte in einem ungewohnten, differenzierten Licht ─ beeinflusst oder eben nicht von der politischen Wende von 1989. Mein Referat versucht dieses Ironische der wahren Geschichte(n) an eklatanten Beispielen der ungarischen Gegenwartsliteratur transparent zu machen.